Ist § 105 I JGG noch zeitgemäß? - Eine empirische Untersuchung der richterlichen Praxis im Verhältnis zu neueren politischen und interdisziplinären wissenschaftlichen Tendenzen
Die adäquate strafrechtliche Behandlung von Heranwachsenden ist seit Jahren umstritten und steht fortwährend im Fokus diverser rechtspolitischer Diskussionen sowie Reformbestrebungen. Seit Einführung des § 105 I JGG im Jahre 1953 besteht der Wortlaut der Norm bis zum heutigen Tage unverändert fort. Die richterliche Praxis hingegen hat sich seit der Einführung stark gewandelt. In den Anfängen der Norm bildete eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht noch die Ausnahme. In den Folgejahren konnte eine Entwicklung zugunsten der Anwendungshäufigkeit des Jugendstrafrechts verzeichnet werden. Diese Tendenz hat sich bis heute in der richterlichen Praxis fortgesetzt. Dazu gewährt § 105 I JGG dem Tatrichter einen erheblichen Beurteilungsspielraum. Die Untersuchung widmet sich daher der konkreten Vorgehensweise der gerichtlichen Praxis bezüglich der Entscheidung über die Anwendung von Jugend- oder allgemeinem Strafrecht. Es wird empirisch überprüft, anhand welcher Kriterien der Richter seine Entscheidung über das anzuwendende Recht trifft und welchen Merkmalen eine besondere Relevanz zukommt. Insbesondere werden hierzu die Faktoren des Alters, des Geschlechts, des Familienstandes, der Wohnsituation, der Bildung sowie ein möglicher Bericht der Jugendgerichtshilfe unterschieden und erörtert. Zugleich soll die Untersuchung einen Beitrag zur Aufklärung unterschiedlicher regionaler Anwendungsquoten leisten. Zuletzt sollen die Erkenntnisse der empirischen Untersuchung, bezogen auf die richterliche Praxis, ins Verhältnis zu neueren politischen Tendenzen sowie Reformvorschlägen gesetzt werden.