Religiöse Einflüsse auf Wirtschaftsordnungen und Handlungen

Moderne Volkswirtschaften und ihr entsprechender Rechtsrahmen gelten heute weithin als Raum, der frei von religiösen Einflüssen ist. Indes: spätestens seit der Etablierung von islamischen Banken, deren Geschäftspolitik darauf angelegt ist, den Vorgaben des islamischen Rechts zu genügen, hat sich dieser Befund geändert. Aber auch außerhalb des sog. Islamic Banking sind vermehrt Wirtschaftsteilnehmer zu beobachten, die damit werben, dass sie den Vorgaben einer Religionsgemeinschaft oder zumindest übergreifenden ethisch oder religiös motivierten Wertevorstellungen genügen wollen. Schlagwortartgig seien genannt: Nachhaltigkeits- und Ökofonds oder Kirchenbanken.

Daneben gibt es aber auch in historischer Perspektive zahlreiche Einflüsse auf Wirtschaftsordnungen und wirtschaftliches Handeln. Um diesen Fragen nachzuspüren hat sich im EXC eine Koordinierte Projektgruppe mit dem Kurztitel „Religion und Wirtschaft“ gebildet. Erster Meilenstein hierzu war die Tagung Religiöse Einflüsse auf Wirtschaftsordnungen in der Zwischen- und Nachkriegszeit im Februar 2014 (Pressemitteilung des Exzellenzclusters).

Diese Tagung bildete den Nukleus für einen 2016 erschienenen Band zur Kapitalismuskritik im Christentum – Positionen und Diskurse in der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik, da sich auf der Tagung gezeigt hatte, dass Vertreter beider Kirchen in diesen Zeiträumen wichtige Stellungnahmen zur diskursiven Auseinandersetzung mit einer kapitalistisch geprägten Marktwirtschaft beigesteuert haben, die auch in Teilen Eingang in die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik gefunden haben.

Seither fokussiert sich die Arbeit in der Gruppe, der Theologen beider Konfessionen, ein Islamwissenschaftler, Juristen und ein Wirtschaftshistoriker angehören, auf ein Projekt mit dem Arbeitstitel „Religion, Recht und dezentrale wirtschaftliche Institutionen“.

Wirtschaftliche Institutionen sind formale und informale Regeln, Normen und Konventionen, die Entscheidungen von Wirtschaftssubjekten und Transaktionen zwischen ihnen rahmen und anleiten. Recht, staatliche Vorschriften, Organisationen mit den von ihnen geschaffenen Regelwerken (z. B. Unternehmen, Verwaltungsbehörden) bilden verbreitet die Grundlagen formaler Institutionen. Ethik, Moral und Traditionen sind wichtige informale Institutionen.

Der interdisziplinäre Teilverbund zielt auf einen sowohl interkulturellen als auch intertemporalen Vergleich der Beziehungen zwischen religiösen Gemeinschaften und Wirtschaftsrecht. Dabei interessieren uns sowohl normative Grundlagen als auch Praktiken der Vertragsschließung sowie Formen der Vertragsdurchsetzung. Die zeitliche Perspektive zielt vor allem auf Vorgänge der Verrechtlichung als auch der Entrechtlichung und die dabei stattfindenden Wechselwirkungen zwischen religiösen Gemeinschaften und formalem Recht. Im Vordergrund stehen vor allem drei Fragestellungen:

1. Inwiefern stellen religiöse Gemeinschaften Ressourcen sowohl für die gegenseitige Bindung von Vertragspartnern als auch für die Vertragsdurchsetzung zur Verfügung?

2. Wieweit haben die Verträgen zugrunde liegenden Normen religiöse Quellen?

3. Welche Kräfte steuern Vorgänge der Verrechtlichung als auch der Entrechtlichung, vor allem auch in Situationen, die mit Veränderungen der wirtschaftlichen Relevanz religiöser Gemeinschaften einhergehen?

Insbesondere zur Auslotung der zweiten Frage hat die Koordinierte Projektgruppe im Sommer 2016 einen ersten Workshop durchgeführt. Anhand verschiedener Leitfragen und für verschiedene Epochen wurde untersucht, inwieweit religiöse Vorgaben oder Diskurse auf die Vertragsdogmatik und den jeweiligen historischen Diskussionsstand einwirkten.