Das Recht der Energiewende in zeiten der Polykrise


Dr. Schütte (links) stellte sich den Fragen aus dem Publikum; Prof. Wißmann (rechts) führte als Moderator durch die Veranstaltung, die auch von Prof. Markard mitorganisiert wurde.

© Uni MS - Sarah Hartmann

Am 07. Juli hielt Dr. Christian Schütte im Rahmen der Münsterischen Gespräche einen Vortrag über die Herausforderungen der Energiewirtschaft und wie man sich diesen entgegenstellen kann.

Herr Schütte promovierte bei Prof. Dr. Andreas Voßkuhle über die progressive Verwaltungsrechts­wissenschaft. Allerdings mit dem besonderen Schwerpunkt, dass er das Spannungsverhältnis der progressiven Verwaltungsrechtslehre Forsthoffs zu dessen konservativem Staats- und Verfassungsverständnis untersuchte.

Seine heutige Funktion knüpft daran nahtlos an: Auch hier geht es um Daseinsfürsorge. Als Leiter der Beschlusskammer der Bundesnetzagentur, die für die Regulierung der Netzentgelte zuständig ist, war er nach dem Ausfall des russischen Gases daran beteiligt, dass es in Deutschland nicht zu einer Energieknappheit kam und Energie bezahlbar blieb.

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In seinem Vortrag gab Herr Dr. Schütte zunächst einen Einblick in die Herausforderungen unserer Zeit. Er führte aus, dass wir uns inmitten einer Klimakrise befinden: Ohne wirksame Gegenmaßnahmen sei ein Temperaturanstieg von über drei Grad bis zum Jahr 2100 mehr als wahrscheinlich. Die USA seien zwischenzeitlich aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgetreten. Energie werde zunehmend als geopolitisches Druckmittel eingesetzt – insbesondere die starke Abhängigkeit von russischem Gas habe sich als problematisch erwiesen.

Gleichzeitig stehe Europa, so Schütte, vor einer Krise der Wettbewerbsfähigkeit. Zu den zentralen Ursachen zählte er hohe Energiepreise, schleppende Investitionen in Zukunftstechnologien und ein Übermaß an Bürokratie. Gerade der Energiesektor sei hiervon in besonderem Maße betroffen – nicht zuletzt, weil das Energierecht als besonders bürokratisch gelte. Dem solle die Energiewende entgegenwirken. Sie sei Voraussetzung für wirksamen Klimaschutz und zugleich ein Instrument zur Sicherung von Versorgung und Wirtschaftlichkeit. Ziel der Energiewende sei Diversifizierung, Unabhängigkeit und eine grundlegende Transformation der Energieversorgung.

Um sich unabhängiger von einzelnen Lieferstaaten zu machen, setze Deutschland laut Schütte auf den Import von Flüssiggas (LNG); dafür seien in kurzer Zeit neue Terminals errichtet worden. Perspektivisch solle verstärkt auf „grünen“ Wasserstoff umgestellt werden. Auch auf europäischer Ebene werde eine stärkere Marktposition angestrebt, etwa durch den gemeinsamen Gaseinkauf der EU.

Parallel werde der Ausbau erneuerbarer Energien weiter vorangetrieben. Ein zentrales Vorhaben sei laut Schütte der Aufbau eines „Wasserstoff-Kernnetzes“. Flankierend werde der Ruf nach Entbürokratisierung lauter.

Rechtlich werde dies nicht nur durch formelle Maßnahmen wie die Verkürzung von Auslegungs- und Einwendungsfristen ermöglicht, sondern auch durch materielle Verschiebungen: Der Zielkonflikt zwischen Umweltschutz, Klimaschutz und Versorgungssicherheit werde zunehmend zugunsten von Klimaschutz und Versorgungssicherheit aufgelöst. Beim Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur würden zudem intertemporale Gesichtspunkte berücksichtigt: Die Finanzierung erfolge in zwei Phasen, wodurch eine sogenannte „geteilte Transformationsverantwortung“ entstehe.

Wie bei den Münsterischen Gesprächen üblich, bekamen zunächst die Studierenden, anschließend die Professor*innen die Gelegenheit, (kritische) Nachfragen zu stellen. Im Mittelpunkt der Diskussion stand unter anderem die Frage, ob es sinnvoll sei, vorrangig auf grünen Wasserstoff zu setzen – oder ob neben der Umstellung auf neue Technologien und staatlicher Subventionierung nicht das langfristige Ziel ein insgesamt niedrigerer Energieverbrauch sein sollte. Auch ein pauschaler Bürokratieabbau wurde kritisch hinterfragt. Einige sahen Parallelen zur Deregulierungsbewegung der 1970er- und 80er-Jahre. Dabei wurde auch diskutiert, inwiefern sich aus den aktuellen Beschleunigungsvorschriften im Energierecht Rückschlüsse auf das allgemeine Verwaltungsrecht ziehen lassen.