Das Bundesverfassungsgericht gilt heute als die grundgesetzliche Institution schlechthin. Was heute verwundern mag: Seine überragende Stellung war dem Gericht nicht in die Wiege gelegt. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten es dem Bundestag überlassen, wichtige Details zu regeln. Die Regierung Adenauer war aber misstrauisch gegenüber der neuen Institution. Das Bundesverfassungsgericht musste sich seine Autorität also erkämpfen. Das tat es in erster Linie durch wegweisende Urteile, aber auch, indem es am 27. Juni 1952 mit der sog. Status-Denkschrift selbstbewusst die ihm gebührende Anerkennung als Verfassungsorgan einforderte. Urheber der Denkschrift war der Richter und Professor Gerhard Leibholz (1901–1982), der damit nach seiner Rückkehr aus der Emigration zum Vordenker der Verfassungsgerichtsbarkeit wurde.
Mehr über die Status-Denkschrift und ihren spannenden Entstehungskontext lässt sich in einem in der "Rechtswissenschaft" erschienenen Beitrag unseres Akademischen Rates Dr. Konstantin Chatziathanasiou nachlesen. Der Beitrag war Teil einer von Kathrin Strauß (Münster) und Jun.-Prof. Dr. Fabian Michl (Leipzig) an der Universität Münster veranstalteten Tagung zum Thema "Eine Rechtsordnung entsteht". Anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der Status-Denkschrift macht der Nomos-Verlag den Beitrag bis zum 30. Juli 2022 frei verfügbar.
Konstitutionalisierung, Demokratisierung, Wohlfahrtsstaat: Gewichtige Stimmen in den Sozialwissenschaften erklären diese historischen Phänomene als Zugeständnisse, mit denen Eliten auf soziale Unruhen reagierten. Diese threat of revolution hypothesis ist von hoher Plausibilität, lässt sich empirisch aber nicht eindeutig belegen. Angesichts dieser Schwierigkeit hat ein Forscherteam unter Münsteraner Beteiligung neue Wege beschritten.
Gemeinsam mit JProf. Dr. Svenja Hippel (Universität Bonn) und Prof. Dr. Michael Kurschilgen (UniDistance Suisse) ist Dr. Konstantin Chatziathanasiou, Akademischer Rat a.Z. an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, der motivierenden Wirkung eines drohenden Umsturzes experimentell nachgegangen. In einer Laborstudie wurden die Teilnehmer mit unterschiedlichen Privilegien ausgestattet, so dass es Spieler mit niedrigem und hohem Status gab. In den anschließenden, nicht-simulierten ökonomischen Spielen profitierten die „Eliten“ stärker. Die Forscher variierten nun, ob die übrigen Spieler die Möglichkeit zum „Umsturz“ hatten und ob die „Eliten“ den „Umsturz“ durch Transferzahlungen abwenden konnten. Die meisten „Eliten“ agierten hierbei jedoch kurzsichtiger als erwartet und verloren ihre Stellung. Damit ist die historische threat of revolution hypothesis zwar nicht widerlegt, die dahinterstehende Verhaltensannahme kann aber auch nicht mehr pauschal aufrecht erhalten bleiben.
Die Studie mit dem Titel "Does the Threat of Overthrow Discipline the Elites? Evidence from a LaboratoryExperiment" ist nun im renommierten Journal of Legal Studies der University of Chicago Law School erschienen. Eine Preprint-Fassung ist hier frei zugänglich.