Einwirkungen des Unionsrechts auf das deutsche Planungs- und Zulassungsrecht
Bericht über das Symposium des Zentralinstituts für Raumplanung an der Universität Münster am 28. Oktober 2019
Das Recht der Europäischen Union ist bereits seit Jahrzehnten aus dem Bau-, Planungs- und Umweltrecht nicht mehr wegzudenken. Es hat den aktuellen Entwicklungsstand dieser Rechtsgebiete entscheidend mitgeprägt und fordert überkommene nationale Rechtsinstitute immer wieder aufs Neue heraus. Das Zentralinstitut für Raumplanung an der Universität Münster (ZIR) wollte im Rahmen seines diesjährigen Symposiums repräsentative, grundlegende wie aktuelle Perspektiven der unionsrechtlichen Einwirkungen auf das deutsche Planungs- und Zulassungsrecht verknüpfen und hierdurch Wissenschaft und Praxis miteinander ins Gespräch zu bringen. Die von Vertretern der Verwaltung, Justiz, Anwaltschaft und Wissenschaft besuchte Veranstaltung fand unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Hans D. Jarass, LL.M., am 28.10.2019 in den Räumlichkeiten der Bezirksregierung Münster statt.
Die Symposien des ZIR werden traditionell durch Berichte über aktuelle Entwicklungen in den Arbeitsbereichen der Bundes- und Landesministerien eröffnet, die das Institut fördern. Diese Berichte können über den engeren Rahmen des Veranstaltungsthemas hinausgehen.
Aus dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) berichtete Ministerialdirektorin Monika Thomas insbesondere über die sich abzeichnenden Novellierungen des BauGB und der BauNVO, welche an die Arbeitsergebnisse der sog. Baulandkommission anknüpfen und auf eine Erleichterung der Baulandaktivierung, vor allem zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums, zielen werden.
Für das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen als oberste Landesplanungsbehörde referierte Karin Weirich-Brämer über Änderungen des Landesentwicklungsplans (LEP) und des Landesplanungsgesetzes (LPlG), die das „Entfesselungspaket“ der Landesregierung umsetzen und vor allem zu einer Vereinfachung und Flexibilisierung raumordnerischer Verfahren führen sollen.
Den Einstieg in das Veranstaltungsthema bot der Vortrag von Prof. Dr. Martin Kment, LL.M., Universität Augsburg über „Einwirkungen des Unionsrechts auf das deutsche Planungsrecht“. Mit Blick auf das Baurecht beleuchtete der Referent die Einwirkungsinstrumente des Unionsrechts. Neben dem europäischen Gesetzgeber und die – vor allem umweltrechtlich ausgerichteten – Richtlinien (UVP- und SUP-Richtlinie, FFH- und Vogelschutz-Richtlinie, Seveso-Richtlinien) stellte er als maßgeblichen Rechtsakteur den EuGH, der durch seine Rechtsprechung die Europäisierung des deutschen Planungsrecht entscheidend mitgestaltet habe. Als „europäische Errungenschaften“ würdigte er die Etablierung von Vorsorge-, Dokumentations- und Informationsregeln sowie die Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung.
Anschließend zeigte Prof. Dr. Dr. Wolfgang Durner, LL.M., Universität Bonn, unter dem Titel „Art. 12 der Dienstleistungsrichtlinie und das deutsche Zulassungsrecht: umweltrechtliche Genehmigung als Vergabeentscheidung?“ grundsätzliche Fragen des Verhältnisses von europäischem Umwelt- und Wirtschaftsrecht auf. Hintergrund ist ein von der Kommission angestrengtes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik, welches das deutsche wasserrechtliche Genehmigungsregime für Wasserkraftanlagen in Frage stellt. Der Referent zeigte Wertungswidersprüche auf, welche eine Anwendung des in Art. 12 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG geforderten „neutralen und transparenten Verfahrens“ im Verhältnis zu den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG, der UVP-Richtlinie 2011/92/EU und der FFH-Richtlinie 92/43/EWG auslösen würde. Allerdings deute das Vertragsverletzungsverfahren auf Defizite des deutschen Genehmigungsrechts, das Verteilungsprobleme und die Notwendigkeit einer „Bewirtschaftung“ von Umweltgütern in weiten Teilen nur unzureichend berücksichtige.
Das Unionsrecht wirkt nicht nur als Schranke nationaler Regelungskonzepte, sondern erlegt den Mitgliedstaaten auch im Bereich der räumlichen Planung explizite Handlungspflichten auf; namentlich die in Art. 170-172 AEUV angesprochenen Transeuropäischen Netze (TEN) haben intensive Auswirkungen auf die nationale Infrastrukturplanung, speziell im Bereich der Energie- und der Verkehrsinfrastruktur. Dies verdeutlichte Prof. Dr. Annette Guckelberger, Universität des Saarlandes, in ihrem Vortrag und bezeichnete die TEN als „Paradebeispiel für die europäische Verbundverwaltung“. Besonders eingehend erläuterte sie die vielfältigen Vorgaben, mit denen die Verordnung (EU) Nr. 347/2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur (TEN-E-VO) Einfluss auf die Planungs- und Zulassungsverfahren im Bereich des Energieleitungsausbaus nimmt.
In grundsätzlicher Weise überformt wird das deutsche Planungs- und Zulassungsrecht nicht zuletzt durch die Bestimmungen des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (UmwRG); auch die Bedeutung dieser verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsprozessualen für die Rechtsanwendungspraxis kann kaum überschätzt werden. Dies zeigte der Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Frank Fellenberg, LL.M., Berlin: „Auswirkungen des Unionsrechts auf den Umweltrechtsschutz: von der innerprozessualen Präklusion bis zur Heilung von Verfahrensfehlern und materiellen Fehlern nach dem UmwRG“. Nach einem Überblick über der völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Vorgaben und deren Umsetzung im UmwRG zeigte der Referent zahlreiche Einzelfragen dieser Bestimmungen auf – von den Klagegenständen (§ 1 UmwRG) über Verfahrensfehler, das Fehlerfolgenregime und die Heilung verfahrensrechtlicher wie materiell-rechtlicher Fehler (§§ 4, 7 UmwRG) bis hin zur Missbrauchsklausel (§ 5 UmwRG) und zur Klagebegründungsfrist (§ 6 UmwRG).
Das diesjährige Symposium war die letzte Veranstaltung des ZIR unter der Leitung von Prof. Dr. Hans D. Jarass, LL.M., der das Institut seit 1998 als Geschäftsführender Direktor geführt hat und diese Funktion zum Abschluss des Symposiums an Prof. Dr. Sabine Schlacke übergab. Die Geschäftsführerin des ZIR, Prof. Dr. Susan Grotefels, würdigte die langjährige Zusammenarbeit und die erfolgreiche Betreuung zahlreicher am ZIR entstandener Forschungsarbeiten – darunter 33 Dissertationen und eine Habilitation. Ganz besonders hob sie hervor, dass Jarass‘ ausgesprochen breites wissenschaftliches Profil die Forschung des Instituts inhaltlich bereichert habe; die verstärkte Einbeziehung allgemeiner verfassungsrechtlicher, verwaltungsrechtlicher und europarechtlicher Fragestellungen habe die Qualität der Forschung am Institut und deren intradisziplinäre Anschlussfähigkeit ganz erheblich gesteigert. Dem pflichtete auch Schlacke bei. In ihrem Ausblick auf die Zukunft des Instituts betonte sie das Ziel der Kontinuität; die zugleich wissenschaftlich anspruchsvolle wie praxisorientierte Forschung solle fortgesetzt werden. Künftige Projekte, etwa die weitere Begleitung der Energiewende, namentlich des Kohleausstiegs, böten hierzu vielfältige Gelegenheit. Jarass wird als Mitglied des Vorstands weiterhin dem ZIR mit fachlichem Rat zur Seite stehen.
Die inhaltliche Breite sowie die grundsätzliche und praktische Bedeutung des Veranstaltungsthemas spiegelten sich in den von Prof. Dr. Susan Grotefels, Dr. Alexander Milstein (VG Düsseldorf), Dr. Jens Wahlhäuser (BMI), Prof. Dr. Sabine Schlacke und Prof. Dr. Hans D. Jarass, LL.M., moderierten Diskussionsrunden wider. Die Referate sowie Zusammenfassungen der anschließenden Diskussionen werden in einem Tagungsband versammelt, der in Kürze in der Schriftenreihe des ZIR, den „Beiträge(n) zum Raumplanungsrecht“, im Berliner Lexxion Verlag erscheinen wird. Im Jahr 2020 wird das ZIR wiederum ein Symposium zu aktuellen und grundsätzlichen Fragestellungen des Raumplanungsrechts veranstalten; ferner richtet es in regelmäßigen Abständen, gemeinsam mit dem Institut für Umwelt- und Planungsrecht der Universität Münster (IUP), die „Münsteraner Gespräche zum Umwelt- und Planungsrecht“ aus. Aktuelle Informationen sind auf der Internet-Seite des ZIR verfügbar.