Im Ausgangspunkt ist das Bodenrecht der Bundesrepublik durch die §§ 29 bis 35 BauGB klar strukturiert. Das Gesetz unterscheidet zwischen Flächen innerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplanes (§ 30 BauGB), innerhalb des unbeplanten Innenbereichs (§ 34 BauGB) und den sonstigen Flächen des Außenbereichs (§ 35 BauGB), die grundsätzlich von Bebauung freizuhalten sind. Dies sei, so Prof. Dr. Hans D. Jarass, LL.M. anlässlich der Eröffnung des vom Zentralinstitut für Raumplanung – Forschungsinstitut für deutsches und europäisches öffentliches Recht – in der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) am 6. November 2018 in Münster zu dem Thema „Planen und Bauen im Außenbereich“ veranstalten Symposiums, aber nur ein Teil der Wahrheit. Der ursprünglich klar gegliederte § 35 BauGB habe sich durch diverse Novellen des Gesetzgebers mittlerweile zu einer der längsten Vorschriften des BauGB entwickelt und stelle Wissenschaft wie Praxis vor zahlreiche Herausforderungen.
1. Aktuelle Entwicklungen
Den Auftakt des Symposiums bildeten Berichte über aktuelle Entwicklungen im Raumplanungsrecht auf der Ebene des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen. Dr. Jens Wahlhäuser, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Berlin, präsentierte die zentralen Vorhaben des Bundes für die laufende Legislaturperiode. Angesichts von Wohnungsmangel und steigenden Mieten habe man sich das Ziel gesetzt, 1,5 Millionen neue Wohnung zu schaffen. Hierzu wolle man verlässliche Rahmenbedingungen schaffen und die im Koalitionsvertrag gesteckten Ziele – bezahlbarer Wohnungsneubau, Baulandaktivierung, Baukostensenkung – umsetzen. Im Anschluss daran stellte Ministerialrätin Dr. Alexandra Renz, Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, mit der Änderung des Landesentwicklungsplans (LEP) NRW und der Diskussion um einen Kohleausstieg die beiden zentralen Projekte auf Landesebene vor.
2. Freiräume zwischen Nutzungsdruck und nachhaltiger Flächenentwicklung
Bevor die Tagung die dogmatischen Fragen der einzelnen Absätze, Sätze und Nummern des § 35 BauGB in den Fokus rückte, legte Prof. Dr. Ulrike Grabski-Kieron, Universität Münster, ein interdisziplinäres Fundament und warf aus der Perspektive der Geographie die Frage auf, ob die Freiräume angesichts des Transformationsprozesses und des Klimawandels ihre Funktionen noch erfüllen können. Als Ausgangspunkt identifizierte sie vier Funktionsbereiche (sozial, ökonomisch, räumlich-strukturell und ökologisch) von Freiräumen. Den allgegenwärtigen Nutzungsdruck verdeutlichte sie anhand der Statistik zum Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrsfläche, ausweislich derer das Ziel, den Verbrauch auf 30 Hektar pro Tag zu begrenzen, deutlich verfehlt wird. Dies habe gravierende Folgen wie beispielsweise Oberflächenversiegelung, Verlust ertragsfähiger Böden, Biodiversität und von Kohlendioxidsenken, steigender Oberflächenabfluss sowie Verstärkung städtischer Hitzeinseln. Dazu analysierte die Rednerin die tägliche Veränderung der Flächennutzung in Deutschland im Detail. Während etwa in den Jahren 2009 bis 2012 täglich 74 Hektar für Siedlungs- und Verkehrsflächen (SuV) verbraucht worden seien, habe die Fläche für Landwirtschaft um täglich 81 Hektar abgenommen. Aus dem Befund leitete die Referentin konkrete Handlungsanforderungen ab. Die Flächenansprüche müssten koordiniert, insbesondere der Flächenverbrauch reduziert und Nutzungskonflikte minimiert werden. Die Wissenschaft müsse daher laut Grabski-Kieron untersuchten, ob die bestehenden Steuerungs- und Regelungselemente der Raumnutzung diesen Anforderungen noch genügen können oder ob es einen Anpassungsbedarf gibt.
3. Zulassung privilegierter Vorhaben im Außenbereich – unter besonderer Berücksichtigung landwirtschaftlicher Betriebe und Tierhaltungsanlagen
Auf diese interdisziplinären Ausführungen baute Ministerialdirigent a. D. Prof. Dr. Wilhelm Söfker, Bonn, mit seinem Vortrag zu dem Schlüsselbegriff des § 35 BauGB, der Privilegierung nach Absatz 1, auf. Er hob hervor, dass die Frage der Privilegierung für Flächen, die keine Baulandqualität aufweisen, die zentrale Vorfrage sei. Denn bei einer positiven Beantwortung sei lediglich das Entgegenstehen – und nicht die bloße Beeinträchtigung – öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB zu prüfen. Die Abgrenzung privilegierter von sonstigen Vorhaben habe darüber hinaus aktuelle Bedeutung durch die Neufassung des UmwRG 2017 erhalten, weil nunmehr Rechtsbehelfe von Umweltvereinigen gegen Baugenehmigungen möglich seien. Sodann widmete er sich im Schwerpunkt den privilegierten Vorhaben, die landwirtschaftlichen Betrieben dienen oder als landwirtschaftsnah bezeichnet werden könnten (§ 35 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 und 6 BauGB). Hierbei vertrat er die These einer situationsbezogenen Anwendung bei eindeutigen Grenzen. Während die Abgrenzung von privilegierten (Nebenerwerbs-)Betrieben zu nichtprivilegierten Anlagen (Hobbynutzung oder Gewerbebetrieb) fortwährend aktuell sei, beschäftige sich die Praxis derzeit ferner mit der Bestimmung der Dauerhaftigkeit bzw. Nachhaltigkeit des landwirtschaftlichen Betriebs, der Zuordnung notwendiger Flächen als Pachtflächen zum landwirtschaftlichen Betrieb, die räumliche Nähe der Vorhaben zur Hofstelle und die Inhaberstellung von Gesellschaften und Kooperationen. Im Anschluss wies der Referent auf jüngere Tendenzen bei Vorhaben der gartenbaulichen Erzeugung im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 2 BauGB hin. Bezüglich des im Jahr 2013 durch die Einführung einer Obergrenze für Vorhaben der Intensivtierhaltung novellierten § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB werde gegenwärtig diskutiert, wie es sich auf die Zulassungsfähigkeit von gewerblichen Tierhaltungsanlagen im Außenbereich auswirkt, wenn für diese ausgewiesene Baugebiete bestehen. Abschließend beleuchtete der Redner die Auswirkungen von Veränderungen beim Basisbetrieb und bei den Anlieferungsbetrieben bei Biomasseanlagen (§ 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB) und das Verhältnis von Gebäude zur Solaranlage (§ 35 Abs. 1 Nr. 7 BauGB)