Dr. Alexander Milstein
Im Gegensatz zu anderen Nationen ist in der Bundesrepublik Deutschland das Recht der Raumentwicklung, das Raumplanungsrecht, in die Sektoren Raumordnung, Fachplanung und Bauleitplanung gegliedert. Diese durch Föderalismus und kommunale Selbstverwaltungsgarantie bedingte Situation zieht eine Vielzahl dogmatischer Fragestellungen nach sich, die weitgehend ungelöst sind und – wie sich etwa beim Netzausbau im Rahmen der sogenannten Energiewende zeigt – besondere Praxisrelevanz aufweisen. Das vom Zentralinstitut für Raumplanung an der Universität Münster – Forschungsinstitut für deutsches und europäisches öffentliches Recht – in der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) am 16. Oktober 2017 in Münster zu dem Thema „Zum Verhältnis von Fachplanung, Raumordnung und Bauleitplanung“ veranstaltete Symposium traf daher auf große Resonanz in der Fachöffentlichkeit. Dies sei, so Institutsdirektor Prof. Dr. Hans D. Jarass, überaus erfreulich und zeige, dass auch „trockene“ Themen ihre Zuhörerschaft finden können.
Aktuelle Entwicklungen
Den Auftakt bildeten Berichte über aktuelle Entwicklungen im Raumplanungsrecht auf Ebene des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen. Ministerialrätin Vera Moosmayer, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin, resümierte die gesetzgeberischen Aktivitäten der vergangenen Legislaturperiode und gab eine Ausblick auf die Zukunftsaufgaben im Raumordnungsrecht, insbesondere auf den Bundesraumordnungsplan Hochwasserschutz. Des Weiteren ging sie auf die von der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) beschlossenen Leitbilder ein. Im Anschluss stellte Christian Rösgen, Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, die Ziele und Herausforderungen der Landesplanung in der neuen Legislaturperiode dar. Der Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen sehe vor, den Landesentwicklungsplan (LEP) zu ändern, insbesondere bezüglich der Themen Siedlung, Windenergie, Landwirtschaft und Flughäfen.
Raumordnung und Fachplanung
Mit den Teilbereichen Raumordnung und Fachplanung widmete sich Prof. Dr. Reinhard Hendler, Trier, den beiden Protagonisten – gelegentlich auch Antagonisten – der überörtlichen Planung. An den Anfang seines Vortrages stellte er begriffliche Klärungen und zeichnete sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Raumordnung als auch die Systematisierungsansätze zur Fachplanung nach. Das grundsätzliche Verhältnis von Raumordnung und Fachplanung skizzierte er mit der Formel „das Allgemeine vor dem Speziellen“, sodass die Ziele der Raumordnung im Konfliktfall grundsätzlich der speziellen, sektoralen Fachplanung vorgingen. Dies sei folgerichtig und sinnvoll, da Raumordnungsziele auf einer abschließenden Abwägung beruhten. Daraus folge aber nicht, dass den folgenden Fachplanungen der Regelungsgegenstand abhandenkommen dürfe. Das Gebot stufen- bzw. ebenenspezifischer Planung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG begrenze die raumordnerische Abwägung auf die Belange, die auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind. Die zuvor aufgestellten Grundsatzthesen illustrierte der Referent sodann an Einzelfragen. Er widersprach der Leipziger Rechtsprechung (Urteile vom 16. März 2006 - 4 A 1075.04 -, und vom 9. Juli 2009 - 4 C 12.07 -) zum luftverkehrsrechtlichen Abwägungsgebot des § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG, wonach zielförmige Standortfestlegungen eines Flughafens aus spezifisch fachplanerischen Erwägungen „überwunden“ werden können, da sich diese Auffassung nicht mit § 4 Abs. 1 ROG in Einklang bringen lasse. Zustimmung fand das Urteil vom 30. Januar 2002 - 4 CN 14.01 -, wonach es der Regionalplanung verwehrt sei, „im Gewande überörtlicher Gesamtplanung auf der Grundlage des Naturschutzrechts zulässigerweise getroffene verbindliche fachliche Regelungen [...] durch eigene Zielfestlegungen zu überlagern oder zu ersetzen“.
Netzausbau und Raumordnung
Auf das von seinem Vorredner gelegte dogmatische Fundament baute Prof. Dr. Alexander Schink, Bonn, mit seinem Referat zum Netzausbau auf. Eingangs stellte er den Hintergrund der Neuregelungen in EnLAG und NABEG dar. Das neue Regelungsregime ziele darauf ab, die evidenten Defizite im Leitungsnetz zum Ferntransport elektrischer Energie unter Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit sowie der Netzbetreiber zu beseitigen (vgl. § 1 NABEG). Das Planungsverfahren nach NABEG sei dazu dreistufig ausgestaltet und führe über die nationale Bedarfsplanung und die Bundesfachplanung zum Planfeststellungsverfahren. Im Folgenden beleuchtete der Berichterstatter die Neuerungen der Bundesfachplanung gemäß §§ 4 bis 17 NABEG. Den abstrakten Rahmen des Netzausbaurechts veranschaulichte Schink mit konkreten Fragestellungen, die sich aus den Festsetzungen des Landesentwicklungsplans NRW für den Netzausbau ergeben würden. Für das Planfeststellungsverfahren gemäß § 43 EnWG folge daraus, dass die Abstandsregelung Nr. 8.2-4 LEP 2017 nach § 4 Abs. 1 ROG für die Planfeststellung strikt verbindlich sei. Dem stellte der Vortragende den Meinungsstreit bezüglich des Verhältnisses von Raumordnung und Bundesfachplanung nach § 5 Abs. 1 NABEG gegenüber. Zu dem Rechtsfolgen des § 15 Abs. 1 Satz 2 NABEG, wonach Bundesfachplanungen grundsätzlich Vorrang vor Landesplanungen haben, würden mittlerweile drei Meinungen vertreten. Zum Abschluss rundete Schink das Thema mit Ausführungen zur Planfeststellung und der Festlegung von Konverterstandorten ab.
Bauleitplanung und Fachplanung
Das Verhältnis der auf den ersten Blick ungleichen Akteure Bauleitplanung und Fachplanung unterzog Prof. Dr. Wilfried Erbguth, Rostock einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung. Dieser diffizilen, durch den Gesetzgeber nur partiell geregelten Kollisionslage näherte er sich, indem er nach Flächennutzungsplanung und Bebauungsplanung differenzierte und die Chronologie – vorlaufend, parallel oder nachlaufend – zum zentralen Ordnungskriterium bestimmte. Die Situation, dass eine nachfolgende Fachplanung auf einen bestehenden Flächennutzungsplan treffe, sei durch § 7 BauGB erfasst. Bei paralleler Planung müsse eine wechselseitige Abwägung und Beteiligung nach dem Prioritätsgrundsatz erfolgen. Trete dagegen der Flächennutzungsplan nachträglich hinzu, müsse § 38 BauGB erst Recht gelten. Das Zusammentreffen eines bestehenden Bebauungsplanes auf eine nachfolgende Fachplanung sei der unmittelbare Anwendungsfall des § 38 BauGB, wonach ein Vorrang der Fachplanung bei überörtlicher Bedeutung bestehe. Die Gemeinde müsse jedoch beteiligt werden. Zudem gelte: „§ 7 BauGB bricht § 38 BauGB“. Bei paralleler Planaufstellung müsse wiederum wechselseitig abgewogen werden. Bezüglich der nachfolgenden Bebauungsplanung verwies Erbguth auf die eisenbahnrechtliche Rechtsprechung, wonach der Sinngehalt des § 38 BauGB zu berücksichtigen sei. An die Kategorisierung der historischen Abfolge schloss der Referent die Erörterung der räumlichen und inhaltlichen Reichweite des Fachplanungsprivilegs an. Dies führte ihn zu Vorschlägen de lege ferenda: Der Konflikt von Bauleitplanung und Fachplanung sei gesamtplanerisch, d. h. durch die Raumordnung, zu lösen.
Raumordnung und Bauleitplanung
Als finale Konstellation analysierte Dr. Boas Kümper, Münster, das Zusammenspiel von überörtlicher und örtlicher Gesamtplanung. In den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellt er die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts, wonach Raumordnung und Bauleitplanung eine „vertikale Planungshierarchie“ bildeten. Eingangs arbeitete er heraus, dass trotz der in der Verfassung angelegten und vom Bundesverfassungsgericht im Baurechtsgutachten akzentuierten Trennung von Raumordnung und Bauleitplanung als Bodenrecht beide Planungsebenen intensiv miteinander verknüpft seien, wie sich aus der (dynamischen) Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB ergebe. Der Referent kritisierte, dass Reichweite und Rechtfertigung dieses Erfordernisses, das vom Bundesverwaltungsgericht als Gebot „materieller Konkordanz“ und „dauerhafter Übereinstimmung“ interpretiert werde, mitunter zweifelhaft seien und präsentierte mit der zulassungsrechtlichen Perspektive einen neuen Ansatz. Danach liege die entscheidende Legitimation der raumordnerisch induzierten Pflicht zur Bauleitplanung darin, dass Ziele der Raumordnung regelmäßig keine unmittelbare bodenrechtliche Wirkung entfalteten. § 1 Abs. 4 BauGB fordere daher keine