Windenergieausbau an Land – Sind die Klimaziele auf der Grundlage des geltenden Planungs- und Zulassungsregimes noch erreichbar?

Bericht über die Münsteraner Gespräche zum Umwelt- und Planungsrecht am 25. Mai 2021

Die vom Institut für Umwelt- und Planungsrecht (IUP) der Münsteraner Juristischen Fakultät sowie vom fakultätsnahen Zentralinstitut für Raumplanung (ZIR) gemeinsam ausgerichteten „Münsteraner Gespräche zum Umwelt- und Planungsrecht“ wollen im halbjährlichen Rhyth­mus aktuelle umwelt- und planungsrechtliche Fragestellungen in einer Nachmittagsveranstal­tung erörtern und haben in diesem Zuschnitt in den vergangenen Jahren stetes Interesse der lokalen und regionalen Fachöffentlichkeit gefunden. Die jüngste Gesprächsrunde fand am 25.5.2021 unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Sabine Schlacke erneut pande­miebedingt als Videokonferenz statt. Dieses Format ermöglichte wiederum auch auswärtigen Interessierten die Teilnahme an der Veranstaltung und wurde von bis zu 185 Vertretern der Verwaltung, Politik, Rechtspflege und Wissenschaft wahrgenommen. Zugleich belegte diese Teilnehmerzahl das breite Interesse an dem Veranstaltungsthema, dem derzeit angesichts des ins Stocken geratenen Ausbaus der Windenergienutzung zu Lande vermehrt in Frage gestellten Planungs- und Zulassungsregimes für Windenergieanlagen.

Die Windenergiegewinnung an Land gilt als eine der tragenden Säule der Energiewende; ihr Ausbau bleibt jedoch gegenwärtig erheblich hinter den angestrebten Zielsetzungen zurück, was nicht zuletzt auf eine mangelnde Verfügbarkeit geeigneter Flächen wegen genehmigungs- und planungsrechtlicher Hindernisse zurückzuführen ist. In der Planungspraxis und im rechtswis­senschaftlichen Schrifttum wird deshalb der geltende Rechtsrahmen für die Planung und Zulas­sung von Windenergieanlagen zunehmend als unzulänglich empfunden und werden alternative Gestaltungsmöglichkeiten ausgelotet. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen die vielerorts auf der Ebene der Regional- und/oder Bauleitplanung praktizierte sog. Konzentrationsflächen­planung. Die Diskussion gewinnt – dies betonte Schlacke in ihrer Einführung in die Gesprächs­runde – besondere Dringlichkeit vor dem Hintergrund des sog. Klimabeschlusses des Bundes­verfassungsgerichts vom 29.04.2021, der die Regelungen des Klimaschutzgesetzes (KSG) vom 12.12.2019 betreffend die zulässigen Jahresemissionsmengen insoweit für mit den Grundrech­ten unvereinbar befunden hat, als Maßgaben für die Emissionsreduktion nach dem Jahr 2030 fehlen. Denn dieser Beschluss habe den Reformdruck bei der Umsetzung der Energiewende ungemein erhöht.

Vor diesem Hintergrund wollte Prof. Dr. Martin Kment, LL.M. (Cambridge), Universität Augs­burg, Alternativen zur Konzentrationsflächenplanung aufzeigen, welche eine wirkungsvollere Flächenvorsorge für Windenergieanlagen ermöglichen und dieses aus seiner Sicht „dysfunkti­onale“ Planungsinstrument ablösen könnten. Er stellte damit Eckpunkte eines ausführlichen Rechtsgutachtens vor, das er jüngst im Auftrag der „Stiftung Klimaneutralität“ erstattet hatte. In den Vordergrund stellte er dabei die Frage nach notwendigen Änderungen des § 35 BauGB und Perspektiven einer Neuausrichtung der gemeindlichen Bauleitplanung für die Windener­giegewinnung. Nach einem einführenden Überblick über die geltenden Regelungsstrukturen, über die bundesverwaltungsgerichtliche Judikatur zur Konzentrationsflächenplanung und die an ihr geübte Kritik entwarf er das Alternativkonzept einer Planung „bedingter Konzentrations­flächen“.

Die von Kment unterbreiteten Vorschläge sollten im Anschluss aus rechtswissenschaftlicher sowie aus planerischer Sicht kommentiert und um zusätzliche Gesichtspunkte ergänzt werden. Die juristische Perspektive vertrat Rechtsanwalt Dr. Stephan Gatz, Richter am Bundesverwal­tungsgericht a.D. und als langjähriges Mitglied des 4. Revisionssenats maßgeblich an der Ent­wicklung der Konzentrationsflächen-Rechtsprechung beteiligt. Er bewertete die Entwicklung ebenfalls als unglücklich. Als problematisch erweise sich insbesondere die restriktive Hand­habung der Planerhaltungsvorschriften durch die Oberverwaltungsgerichte.

Die Perspektive der Regionalplanung beleuchtete sodann Hauke von Seht vom Dezernat Regi­onalentwicklung der Bezirksregierung Düsseldorf. Im Unterschied zu Kment sah er nicht die Bauleitplanung, sondern die Regionalplanung als „Schlüsselebene“ für den Ausbau der Wind­energie an, zumal heutige Windenergieanlagen aufgrund ihrer Dimensionierung in aller Regel überörtliche Auswirkungen zeitigten und somit als raumbedeutsam i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG einzustufen seien; die Raumordnung könne die Konkurrenz der Windenergiegewinnung mit anderen Raumnutzungsansprüchen besser koordinieren als die gemeindliche Planung. Herr von Seht zeigte vor diesem Hintergrund in seinem Vortrag Optionen für Änderungen im EEG 2021, im ROG sowie im BauGB auf. Diese zielen darauf ab, die Grundlagen für einen dynamischen, planerisch gesteuerten Windenergieausbau zu legen und dies ggf. auch ohne eine aufwändige und fehleranfällige Konzentrationszonenplanung.

Auch im virtuellen Raum wurden die Möglichkeiten zur Diskussion in der abschließenden aus­führlichen Aussprache intensiv genutzt. Dabei schien über die Notwendigkeit einer Neuaus­richtung des Planungs- und Zulassungsregimes für Windenergieanlagen weitgehend Konsens zu bestehen, gingen jedoch die Auffassung über das „Wie“ nicht selten weit auseinander.