Nachruf auf Bernhard Großfeld

„Zeit und Raum entscheiden im Recht über Kopf und Kragen.“ Wenn Bernhard Großfeld solch einen Satz prägte, war dies weit mehr als ein leicht dahingeworfenes Sprichwort. Wer sich über fremde Rechtsordnungen äußerte, sollte die Region, um die es ging, aus eigener Anschauung kennen und nicht nur daherschwätzen. Der offene Blick auf Land und Leute war der sichere Boden, von dem aus Großfeld internationales Recht betrachtete und Rechtsvergleichung betrieb. Von seinem LL. M.-Studium in Yale in den frühen 1960er Jahren bis hin zu zahlreichen intensiven Kontakten nach Australien, China und Japan reichte sein juristischer Horizont. Die deutsche Dogmatik, in deren wirtschaftsrechtlichen Feinheiten Großfeld sich sattelfest auskannte, hing bei ihm nie in der Luft, sondern war immer geerdet und zugleich im wörtlichsten Sinne relativiert. Hohe internationale Reputation, Beliebtheit bei Generationen von Studenten, Begeisterung bei großen Scharen von Doktoranden und mehrere betreute Habilitationen waren die Folge seiner uneitlen und liebenswürdigen Ausstrahlung.

Nach dem Abitur in Nordhorn und einem Studium in Freiburg, Hamburg und Münster wurde Großfeld 1960 mit einer Arbeit zur Privatstrafe als Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts promoviert. Die Tübinger Habilitationsschrift, 1965 angenommen und betreut von Wolfgang Fikentscher, behandelt die Aktiengesellschaft im Spannungsfeld von Unternehmenskonzentration und Kleinaktionären. Bereits im Alter von 33 Jahren erhielt Großfeld in Göttingen seine erste Professur. 1973 wechselte er nach Münster und blieb unserer Fakultät treu, auch als ihn Rufe nach Bonn, Hamburg, München, St. Gallen und Würzburg locken wollten. Das von ihm zusammen mit Otto Sandrock aufgebaute Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht wurde sein wissenschaftlicher Eckpfeiler in Deutschland, nach und nach ein Magnet für auswärtige Gäste und internationale Studenten wie Doktoranden.

Im Laufe der Jahrzehnte schuf Großfeld ein riesiges wissenschaftliches Werk mit einer großen Zahl von Monographien und einer Fülle von Aufsätzen zum Unternehmensrecht, Bilanzrecht, Gesellschaftsrecht, Genossenschaftsrecht, Steuerrecht und zur Rechtsvergleichung. Übersetzungen ins Englische, Chinesische, Koreanische, Japanische und Bahasa-Indonesische zeigen das hohe internationale Interesse an seinem juristischen Wirken. Großfelds Vorstellungen zur Bilanzrechtsreform flossen maßgeblich in Änderungen des Handelsgesetzbuchs ein. Mitherausgeberschaften angesehener Zeitschriften (Juristenzeitung, Rabels Zeitschrift, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft) zeugten von seiner Anerkennung in der Fachwelt. Gegenüber Interessengruppen in der Wirtschaft blieb Großfeld aber unbestechlich. Mit Stolz verkündete er, nie eine privat bezahlte Zeile geschrieben zu haben.

Von seiner sicheren Verankerung im Wirtschaftsrecht und seiner festen Zugehörigkeit zur bentheimischen Heimat aus erschloss sich Großfeld immer weitere geistige Räume des Rechts, ja der Kulturwissenschaften überhaupt. Seine Berufung zum ordentlichen Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste bot ihm ab 1985 die Gelegenheit, in zahlreichen Klassenvorträgen scheinbar weit entfernt liegende Punkte zu verknüpfen. Aus solchen und anderen Grenzgängen erwuchsen Kurzmonographien und weit ausgreifende Aufsätze in einer Mischung von strenger Ernsthafigkeit und jungenhaftem, geradezu schalkhaftem Humor. Von Zahlen, Zeichen und Geometrie als Rechtssysmbolen über Ordnungsgesänge, Poesie im Recht, bildhaftes Rechtsdenken bis zur Spätschrift „Recht als Begegnung“ (2015) spannt sich der Bogen, mitten darin mit fast 400 Seiten das Buch „Zauber des Rechts“. Hinzu kommen Miniaturen zur Rechtsgeschichte, etwa zu Friedrich Spee (1995), dem Streiter gegen Hexenprozesse. Im Rückblick lassen sich eine mittlere und eine späte Phase im wissenschaftlichen Werk von Großfeld trotz einiger Überlappungen deutlich ausmachen.

Ab seinem 65. Geburtstag erhielt Großfeld im Fünfjahresabstand treue Festschriften aus dem Schüler- und Kollegenkreis, teilweise eingekleidet in größere Freundestreffen im Schloss zu Münster. Traf man ihn auf einer Dienstreise in der Bahn, tauchte nicht selten nach wenigen Minuten ein Praktiker auf, der Großfeld als seinen ehemaligen Professor erkannte und begeistert von früheren Vorlesungserlebnissen zu erzählen begann.

Noch zu seinem 90. Geburtstag erschienen mehrere warmherzige akademische Glückwünsche aus dem Kreise seiner Schüler. (Mincke, Ebke) Von Krankheit gezeichnet, konnte er sie kaum noch zur Kenntnis nehmen. Einige Monate später ist Bernhard Großfeld, der Familienmensch, nach längerer häuslicher Pflege friedlich eingeschlafen, nicht ohne Neugier auf ganz andere Zeiten und Räume als diejenigen, die er selbst erschlossen hatte.

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät Münster verliert einen großen Gelehrten, einen liebenswürdigen Kollegen und einen anregenden Geist. Sein Andenken zu bewahren, ist uns Freude, Ehre und Verpflichtung.

Peter Oestmann

- Dekan-

 

Die verlinkten Glückwünsche sind im Universitätsnetz frei verfügbar.